Sektorenkopplung: Wasserstoff, Wärmenetze, E-Mobilität

Weniger Emissionen, mehr Flexibilität: Die Sektorenkopplung ist Schlüsselelement der Energiewende. Die Weichen für die Verknüpfung von Strom, Wärme, Industrie und Verkehr werden jetzt gestellt. Das Fraunhofer IEE hilft Politik und Unternehmen, hier die richtigen Entscheidungen zu treffen. Dabei verbinden die Forschenden Technologie, Ökonomie und Regulatorik.

Wie viel Windenergie- und Solarleistung erfordert die Energiewende, was können Speicher beitragen, welche Rolle spielen Wasserstoff oder die Elektromobilität im Energiesystem der Zukunft? Das sind typische Fragen, die die Forschungsarbeit des Fraunhofer IEE lange Zeit geprägt haben. Mit ihren Studien und Modellierungen haben die Wissenschaftler:innen gezeigt: Der klimagerechte Umbau des Energiesystems ist technisch machbar, stärkt dessen Resilienz und zahlt sich wirtschaftlich aus. Heute ist Konsens in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, dass die Energiewende alternativlos ist. „Was wir viele, viele Jahre lang berechnet haben, ist zum Regierungsprogramm geworden“, sagt Norman Gerhardt, Leiter des Forschungsschwerpunkts Energiewirtschaft und Systemanalyse am Fraunhofer IEE. Damit verändern sich die Aufgaben des Instituts. „Unser Fokus liegt jetzt stärker auf der Umsetzung. Wir arbeiten zum Beispiel mit Systemmodellierungen Optimierungspotenziale heraus und geben Unternehmen Werkzeuge für Planung und Betriebsführung in die Hand“, erklärt Gerhardt.

Sektorenkopplung als Schlüssel zur Energiewende

Mit der allgemeinen Akzeptanz der Energiewende hat sich auch dessen Verständnis geändert: Lag der Fokus lange Zeit auf dem Stromsektor, so ist in den letzten Jahren verstärkt die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung, der Industrie und des Verkehrs in den Blick gerückt. Wichtigster Klimaschutz-Hebel ist hier, fossile Energieträger durch Strom aus erneuerbaren Quellen zu ersetzen. Zwei Optionen stehen dabei zur Verfügung: die direkte Elektrifizierung von Prozessen und Technologien oder aber der Einsatz von grünem, per Elektrolyse produziertem Wasserstoff und seiner Derivate wie Ammoniak, Methanol oder E-Fuels („Power-to-X“, kurz PtX). Der Einsatz von erneuerbarem Strom reduziert jedoch nicht nur die CO2-Emissionen der einzelnen Sektoren, sondern ermöglicht auch deren Kopplung. Das bringt Flexibilität ins Energiesystem – unverzichtbar für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien, da Windenergie- und Photovoltaik-Anlagen nicht nach Bedarf, sondern nach Wetterlage Strom erzeugen. So lassen sich mit der Verknüpfung der einzelnen Sektoren wechselseitig Strom- Defizite und -Überschüsse ausgleichen. „Die Sektorenkopplung ist Schlüsselelement für die Transformation des Energiesystems von fossil zu erneuerbar“, betont Gerhardt.

Podiumsdiskussion "Sektorenkopplung: Wasserstoff, Wärmenetze, E-Mobilität"

Lock-In-Effekte und Fehlinvestitionen vermeiden

Noch steckt die Sektorenkopplung ganz in den Anfängen – es fehlt bislang vielfach an der nötigen Infrastruktur, an Geschäftsmodellen und auch an einem Rechtsrahmen, der diesen Prozess unterstützt. Eine spannende Phase, meint Jochen Bard, Leiter des Forschungsbereichs Energieverfahrenstechnik und -speicher beim Fraunhofer IEE: „Jetzt werden die Weichen für die Kopplung der Sektoren gestellt, etwa mit Investitionsentscheidungen oder der Gestaltung der regulatorischen Basis.“ Dabei gelte es, sorgfältig zu prüfen, was zielführend ist, was als Übergangslösung dienen kann und was langfristig gefordert ist. „Hier können wir Politik und Unternehmen Orientierung geben. Damit helfen wir, Lock-In-Effekte oder Fehlinvestitionen zu vermeiden“, sagt Bard.

Wasserstoff-Systeme effizient, kostenoptimal und nachhaltig gestalten

Was tut das Fraunhofer IEE konkret, um die Sektorenkopplung auf den Weg zu bringen? Ein Schwerpunkt liegt auf dem Thema Wasserstoff. „Wir haben eine ganze Reihe von Studien erstellt, die unter anderem zeigen, wo wie viel Wasserstoff benötigt wird, wo er erzeugt werden kann und wie er sich transportieren lässt“, erklärt Bard. Zum Beispiel hat das Fraunhofer IEE mit dem globalen Power-to-X-Atlas eine detaillierte Bestandsaufnahme der weltweiten technischen und ökonomischen Erzeugungspotenziale für Wasserstoff und andere PtX-Energieträger wie Ammoniak vorgelegt. Die Bewertung basiert auf umfangreichen Analysen, beispielsweise der Flächenverfügbarkeit und der Wetterbedingungen. Auch Faktoren wie die lokale Wasserverfügbarkeit, den Naturschutz, die Investitionssicherheit am jeweiligen Standort und die Transportkosten haben die Forschenden berücksichtigt.

Mit dem PtX-Atlas hat das Fraunhofer IEE eine Grundlage für die nötigen Importe von Wasserstoff und den darauf basierenden Energieträgern geschaffen. Aber genauso trägt das Fraunhofer IEE dazu bei, identifizierte Potenziale zu erschließen: In mehreren afrikanischen und südamerikanischen Ländern beteiligen sich Experten:innen des Instituts daran, Erneuerbare-Energien- und Wasserstoff-Projekte aufzubauen. „Dabei geht es vor allem um Fragen der Auslegung der Systeme, etwa mit Blick auf die Kosteneffizienz. Auch haben wir die Nachhaltigkeit der Vorhaben im Visier, vor allem was den Wasserbedarf und das für viele PtX-Energieträger benötigte Kohlendioxid betrifft“, erläutert Bard. „Darüber hinaus befassen wir uns damit, wie sich die erzeugten Energieträger bestmöglich nach Europa transportieren lassen – und auch damit, wie sich sicherstellen lässt, dass sie die regulatorischen Anforderungen der EU erfüllen.“

Bedeutung der Elektrolyseure für den Netzausbau

Neben den Importen sind auch PtX-Energieträger „made in Germany“ unverzichtbar für Klimaschutz und Energiewende. Daher beschäftigen sich die Forscher:innen ebenso mit der Integration der Elektrolyseure ins heimische Energiesystem. So haben sie beispielsweise ein Modell entwickelt, mit dem die Übertragungsnetzbetreiber bei ihrer Netzausbauplanung berücksichtigen können, welche Auswirkungen der Bau von Elektrolyseuren an welchen Standorten auf die Netze haben wird. Ein weiteres Arbeitsfeld des Fraunhofer IEE sind die Wasserstoff-Technologien. „Wir entwickeln zum Beispiel derzeit Leistungselektronik für Elektrolyseure im dreistelligen Megawattbereich“, sagt Bard. Dabei können die Forscher:innen ihre Erfahrungen aus der Batterietechnologie nutzen. „Was wir dort mit Simulationen tun, übertragen wir jetzt auf Elektrolyseure und auch auf Brennstoffzellen.“

Technologie, Ökonomie und Regulatorik zusammenführen

Wie die meisten anderen Forschungsvorhaben des Fraunhofer IEE adressieren die Projekte im Bereich Wasserstoff nicht nur technologische, sondern gleichfalls wirtschaftliche und regulatorische Aspekte. „Das beschleunigt die Übertragung der Innovationen und Konzepte in die Praxis – und damit die Energiewende als Ganzes“, erklärt Bard. Einen solch übergreifenden Ansatz verfolgt das Institut auch im Bereich der Wärmeversorgung, einem weiteren Handlungsfeld der Sektorenkopplung – etwa im Bereich der kommunalen Wärmeplanung, wo die Fraunhofer- Forscher:innen beim Um- und Aufbau klimagerechter Systeme unterstützen. „Wir verknüpfen technologische Fragen unter anderem mit der Stadt- und Quartiersentwicklung, um zu zeigen, wie die Transformation gelingen kann“, sagt Dr. Anna Marie Cadenbach, Leiterin des Forschungsschwerpunkts Thermische Energiesystemtechnik beim Fraunhofer IEE. Ein Beispiel dafür ist das Quartierskonzept, das die Wissenschaftler:innen für das ehemalige Kasernengelände Lagarde in Bamberg erstellt haben, ein sehr heterogenes Viertel mit Alt- und Neubauten, die auf vielerlei Weise genutzt werden. Dafür haben die Fraunhofer- Forscher:innen den Einsatz von zwei Wärmenetzen geplant; eines davon als kaltes Netz, das Wärmepumpen als Quelle dient. Auch an der Umsetzung ist das Fraunhofer IEE beteiligt. „Wir überprüfen zum Beispiel mit Messungen, ob sich die erwarteten Ergebnisse einstellen, und steuern gegebenenfalls gegen“, erklärt Cadenbach. Wärmenetze haben große Bedeutung für die Energiewende in diesem Sektor, da sie es erlauben, die ganze Bandbreite erneuerbarer Wärmequellen nutzbar zu machen.

Bei diesem wie auch anderen Quartierskonzepten legen die Fraunhofer-Forscher:innen besonderen Fokus darauf, die Potenziale der Digitalisierung für die Transformation der Wärmeversorgung zu nutzen, auf Ebene der Netze wie der einzelnen Gebäude – zum Beispiel um Erzeugungs- und Bedarfsprognosen bei der Steuerung der Systeme berücksichtigen zu können. „Die Digitalisierung bringt Flexibilität in die Wärmeversorgung“, bringt Cadenbach deren Nutzen auf den Punkt.

Transformation der Wärmeversorgung verlangt systemische Perspektive

Der Umbau bestehender Wärmenetze birgt die Herausforderung, nicht frei experimentieren zu können, da die Verbraucher jederzeit verlässlich versorgt werden müssen. Deshalb errichtet das Fraunhofer IEE derzeit ein „District LAB“: ein Labor mit angeschlossenem thermischem Netz im Quartiersmaßstab, in der allerlei versorgungsrelevante Bauteile installiert sind. Sie erlauben es, nahezu beliebig Wärmequellen und -senken nachzubilden. „Wir können dort zum Beispiel Versorgungsszenarien mit verschiedenen Einspeisern ins Wärmenetz erproben, Parameter für die Betriebsoptimierung testen und komplexe Regelungsstrategien überprüfen. Das geht weit über digitale Simulationen hinaus“, erklärt die Expertin. So haben die Fraunhofer-Forscher:innen im District LAB zum Beispiel die Möglichkeit zu testen, wie sich eine Temperaturabsenkung im Netz auf die Wärmeversorgung auswirkt, etwa um Abwärmequellen zu erschließen. Auch können sie dort untersuchen, wie sich das Verhalten von Prosumern, die Wärme Schematische Darstellung des im Projekt Lagarde entwickelten Energieversorgungskonzepts auf dem Konversionsgelände in Bamberg. Unsere Forschungsthemen Energiesystem und -märkte, Geschäftsmodelle Wärme- und Verkehrswende Methodenentwicklung, Techno-ökonomische Studien Power-to-X und Wasserstoffanwendungen Systemtechnik für Elektrolyseure und Brennstoffzellen Speichersysteme, Batterie-Modellierung Daten- und modellgestützte Betriebsoptimierung Energie-System-Stadt, Bewertung von Versorgungslösungen Innovative Energiekonzepte für Gebäude und Quartiere Digitalisierung der Fernwärme Thermo-hydraulische Systemsimulation sowohl einspeisen als auch entnehmen, auf die Versorgungssicherheit auswirkt. Die Einrichtung steht auch Netzbetreibern, Energieversorgern, Systemplanern und Komponenten- Herstellern für Tests und Experimente zur Verfügung. Mit den vielfältigen Möglichkeiten zur Einbindung erneuerbarer Energien – von der Abwärme eines Elektrolyseurs bis hin zu Power-to-Heat-Anlagen – bietet die Wärmeversorgung zahlreiche Ansatzpunkte für die Sektorenkopplung. „Das Thema Wärme ist heute sehr komplex“, sagt Cadenbach. „Es verlangt einen Ansatz, der die Transformation des gesamten Energiesystems berücksichtigt. Diese systemische Perspektive macht unsere Arbeit enorm spannend.“

Unsere Forschungsschwerpunkte zu diesem Leitthema

 

Forschungsschwerpunkt

Energiewirtschaft und Systemanalyse

 

Forschungsschwerpunkt

Energieverfahrens-
technik und -speicher

 

Thermische Energietechnik